Manchmal – wenn ich so von meinen Heliskiing Jahren erzähl – werde ich gefragt, ob mir denn auch mal was richtig schlimmes passiert. Ist. Und da ist meist mein erster Gedanke: Jänner 2009!
Im Jänner 2009 habe ich innerhalb von wenige Tagen zwei meiner sieben Leben verbraucht. Das ist nicht zu verwechseln mit den 7 Todsünden, von denen ich allerdings auch schon einige abgearbeitet habe. Das ist allerdings wieder eine andere Geschichte.
Im Gegensatz zu vielen meiner Geschichten ist diese diesmal leider gar nicht lustig, sondern höchst traurig und dramatisch und eines der schlimmsten und prägendsten Erlebnisse meines Lebens. Denn leider hat bei dieser Geschichte ein Kamerad sein Leben verloren. Zwar gibt es kaum eine Sportart, bei der ich noch nicht den Verlust eines Kameraden betrauern musste. Sei es beim Skifahren, beim Motorradfahren oder beim Klettern. Aber nie war ich so hautnah dabei und fühlte mich dafür verantwortlich.
Es war also im Jänner 2009 und ich war eingeladen zu ein paar Tagen Heliskiing bei einem neuen Heliski-Unternehmen in Kanada. Von Anfang an hatte ich kein gutes Gefühl, aber ich ließ mich überreden und kombinierte die Reise mit ein paar anderen Besuchen, die ich in Kanada erledigen wollte. In der Lodge angekommen mussten wir 4 Tage tatenlos ausharren, denn denn es schneite in den Küstenbergen British Columbias. Ich war zwar allein unterwegs, aber da alle Gäste in der Lodge festsaßen war genügend Zeit sich untereinander kennen zu lernen und neue Freundschaften zu schließen. Unter anderem in der Gruppe waren ein Vater und sein Sohn aus den USA. Sie hatten eine bewegende Geschichte zu erzählen. Die Ehefrau bzw. Mutter starb vor etwa einem Jahr und um über die Schmerzen hinweg zu kommen, wieder näher zusammen zu finden und gemeinsam Freude zu erleben, beschlossen sie gemeinsam einen Vater-Sohn Heliski Urlaub zu machen. Es ergab sich, dass ich gemeinsam mit den beiden, zusammen mit einem Pärchen aus Seattle und einem weiteren Gast in einer Gruppe fuhr.
Endlich am 4. Tag der Reise klarte das Wetter auf und es ging hinaus zum Heliskiing. Die kanadischen Küstenberge gehören zu dem spektakulärsten, was die Gebirgswelt zu bieten hat und wir standen an diesem Tag sprachlos auf unzähligen Gipfeln, bestaunten diese atemberaubende Berge und genossen Tiefschneeabfahrten im perfekten kanadischen Powder. Kurz vor Mittag fanden wir einen traumhaften Hang. Nicht zu steil, vielleicht 25° und befuhren ihn gleich zweimal. Wir beschlossen, noch ein drittes Mal zu fahren, aber diesmal hielten wir etwa auf der Hälfte in einem Flachstück und machten dort Mittagspause. Bei blauem Himmel, strahlendem Sonnenschein und glitzerndem Schnee genossen wir eine warme Suppe, Sandwiches und heißen Tee. Die Stimmung war ausgelassen und jeder schwärmte vom „besten Tag seines Lebens“. Zwei der Bergführer gruben in der Zwischenzeit ein Schneeprofil, um die Lawinengefahr zu beurteilen. Wir fühlten uns alle sehr gut betreut und sicher. Ich muss an diesem Punkt auch erwähnen, dass ich die beiden Bergführer kannte und auch nachher noch viele Jahre mit ihnen unterwegs war. Sie gehören zu den besten und erfahrensten Heliski-Guides. Das Schneeprofil wurde bis auf 2 Meter tiefe gegraben und es wies keinerlei Schwachstellen auf.
Nach der Mittagspause – so gegen 14 Uhr – setzten wir unsere Abfahrt über den zweiten Teil des Hanges fort. Wir waren diesmal die zweite Gruppe auf der Abfahrt und warteten, bis die erste Gruppe am Sammelplatz für den Heli war. Dann fingen wir an einzeln mit etwas Abstand den Hang zu befahren. Unser Guide wartete auf einem etwas erhöhten Sammelpunkt auf die Gruppe. Als ich in die Abfahrt startete waren noch zwei Snowboarder – Vater und Sohn – weiter unter mir im Hang. Auf einmal hörte ich bei einem Linksschwung ein lautes Knallen und der Schnee unter mir begann sich zu bewegen. Es war, wie wenn einem ein Teppich unter den Füßen weggezogen wird, alles wird weich und wackelig. Ich blickte nach unten und sah die zuerst so gleichmäßig in der Sonne glitzernde Schneedecke in große Blöcke zerbrechen. Ich wusste sofort – das ist eine Lawine! Ich versuchte mich auf den Beinen zu halten, stellte die Ski in Falllinie und gab Gas. Jetzt nur nicht stürzen. Instinktiv zog ich nach links und konnte seitlich aus der Lawine ausfahren. Nach rechts brach die Lawine mehr als hundert Meter breit ab. Später erfuhr ich, dass die Abrisskante der Lawine ca. 2,5 Meter hoch war. Also nochmal einen halben Meter tiefer als das vorher gegrabene Schneeprofil.
Ich sah sofort, dass ich der Einzige war, der nicht in der Lawine war. Ich versuchte die anderen 6 Personen zu lokalisieren und zu sehen, wo sie von der Lawine erfasst wurden. Es war ein Monster. Immer weiter zog sich die Abbruchkannte nach rechts und die erste Lawine löste noch eine zweite Lawine aus, die noch einmal über alles hinwegfegte. Selbst der Heli, der weit unten gerade die erste Gruppe aufgenommen hat, konnte gerade noch abheben, bevor die Lawine ihn erfasste. Der gerade noch „beste Tag des Lebens“ verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde zum größten vorstellbaren Albtraum.
Das Schreiben dieser Zeilen fällt mir auch 14 Jahre nach dem Unglück noch schwer. Nur mit Tränen in den Augen und Gänsehaut kann ich diese Zeilen schreiben.
Nachdem die Lawine endlich still stand, querte ich zu der ersten Gruppe mit dem Guide und dem Pärchen aus Seattle. Sie waren auf diesem leicht erhöhten Hügel, den der Guide als Sammelplatz gewählt hatte und waren zum Glück nur zum Teil verschüttet und konnten sich selbst befreien. Unser Guide gab noch halb verschüttet schon genaue Kommandos zum Umschalten der Lawinensuchgeräte, doch das Pärchen aus Seattle war panisch und hatte Probleme mit dem Umschalten.
Ich zögerte zuerst, weil ich immer noch ein Signal eines nicht umgeschalteten LVS auf der meiner Anzeige hatte, aber machte mich dann auf die Suche nach Vater und Sohn. Den Sohn konnte man gut hundert Meter tiefer sehen. Auch er war nicht komplett verschüttet. Aber vom Vater fehlte jede Spur. Mit dem Verschüttetensuchgerät konnte ich ihn trotzdem nochmal gut 50 Meter weiter unten schnell finden. Aber der nächste Schock folgte: Das Gerät zeigte eine Verschüttetentiefe von 2,2 Metern an. Inzwischen kamen die Guides und Gäste der anderen Gruppe am Unfallort an und begannen Schaufeln und Sonden zusammenzustecken. Endlich etwas Glück: Ich erwischte mit dem ersten Stich der Sonde den Körper des Verschütteten. 6 Minuten nach Abgang der Lawine war die verschüttete Person lokalisiert. Laut Statistik schwindet aber die Überlebenschance nach 15 Minuten unter der Lawine drastisch. Ohne rettende Atemhöhle droht der Tod durch Ersticken.
Wie wir es bei der Lawineneinschulung am Beginn der Heliski-Woche gelernt haben, begannen wir zu graben. Es waren ohne Zweifel die intensivsten Minuten meines Lebens. Ohne Unterlass schaufelten wir mit aller Kraft bis zur kompletten Erschöpfung und darüber hinaus Es ging um jetzt jede Minute. In nur 9 Minuten – 14 Minuten ab Verschüttung – schafften wir es zum Verschütteten und die Atemwege konnten endlich freigemacht werden. Doch der Körper war bereits leblos und wir begannen mit der Widerbelebung.
Die ganze Dramatik der Situation ist kaum in Worte zu fassen. Während die Guides um das Leben des Vaters kämpften, brach der Sohn weinend daneben zusammen, der Rest der Gruppe war entweder fassungslos oder es wurde hysterisch geschrien und geweint. Erst als wir den regungslosen Körper immer noch unter Herzmassage und Beatmung in den Helikopter hoben und der Heli Richtung Krankenhaus abflog war es auf einmal ruhig alle saßen fassungslos auf dem Schnee. Die Guids blieben ruhig und erklärten genau, was nun zu tun ist.
3 Tage nach dem Lawinenunglück wurden die lebenserhaltenden Maschinen wegen irreversiblem Hirnfunktionsausfall abgeschaltet. Es war für alle beteiligten ein traumatisches Erlebnis. Wie sich jedoch der Sohn fühlen musste, der ein Jahr zuvor gerade seine Mutter verloren hatte, ist für mich unvorstellbar.
Ich flog danach wieder zurück nach Vancouver und sollte ja meine Reise in Whistler fortsetzen. Aber mir war nicht nach Skifahren, also beschloss ich vorerst ein paar Tage in Vancouver zu verbringen. Das Wetter in Vancouver war trüb und regnerisch und ich saß allein in meinem Hotelzimmer. Mir fehlte jemand, um über das Erlebte zu reden und ich tat mir schwer, das alles zu verarbeiten. Um die Zeit totzuschlagen, schaute ich mir Videos von meiner Helmkamera an und entdeckte, dass ich das gesamte Lawinenunglück auf Video aufgenommen hatte. Ich konnte mich gar nicht mehr so richtig daran erinnern, dass die Aufnahme lief. Vom Start der Abfahrt, über das Auslösen der Lawine, der Hektik und Dramatik bei der Suche und beim Graben bis zum Abtransport ist alles auf Video. Ich schaue das Video wieder und wieder an, entdecke kleine Fehler die ich als Ersthelfer mache und beginne mir Vorwürfe zu machen. Bin ich schuld am Lawinenabgang? Hätte ich hier oder dort eine Minute schneller sein können bei der Suche? Am meisten verwundert war ich jedoch über den Unterschied des persönlich wahrgenommenen Ablaufs und der tatsächlichen Situation auf dem Video. Es ist unglaublich wie sich die Wahrnehmung oft von den Tatsachen unterscheidet. Ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann. Meine Schuldgefühle werden größer und ich falle in ein tiefes Loch. Erst bei einem Gespräch mit meinem Vater – langgedienter Bergführer, Bergretter und Mitglied der Lawinenkommission – versichert er mir, dass wir alles richtig gemacht haben. Erst später realisiere ich, wie viel Glück ich eigentlich hatte, bei dem Unglück nicht selbst verschüttet worden zu sein. Ein Schwung in die falsche Richtung oder ein Sturz und es hätte auch für mich tödlich enden können. Das Video wird schließlich auch für Schulungszwecke bei der Lawinenkommission Tirol verwendet. Die positiven Worte helfen sehr. Ich fahre immer noch gerne abseits und seitdem habe ich viele tausende Höhenmeter Pulverschneeabfahrten in unverspurtem Gelände genossen. Aber meine Sinne sind geschärfter, ich fahre und beobachte definitiv noch vorsichtiger und aufmerksamer und verzichte lieber einmal mehr auf eine Abfahrt, auf der ich mich nicht wohl fühle.
Noch in Vancouver beschließe ich, dass ich so schnell wie möglich wieder in den Schnee muss. Ich brauche ein positives Erlebnis und setze meine Reise fort. Das nächste Ziel ist Bella Coola Heli Sports. Aber auch das läuft nicht nach Plan. Aber diese Geschichte kommt in Teil zwei der Story.
Welche Lehren kann man daraus ziehen?
Dieser spezifische Lawinenabgang war schwer vorauszusehen. Die Steilheit des befahrenen Hanges betrug unter 25 Grad, also nicht sehr steil und für eine Auslösung eher ungewöhnlich flach. Das Schneeprofil wies bis auf eine Tiefe von 2 Metern keine Schwachschichten auf. Und eine Auslösung einer Lawine in einer Schwachschicht, die so tief liegt ist sehr unwahrscheinlich. Es gab zwar in den Tagen zuvor riesigen Mengen Neuschnee, aber es gab praktisch keine Windverfrachtungen. Was war also das Problem?
Ich selbst kann hier nur mutmaßen bzw. habe ich natürlich mit Experten darüber gesprochen. Ein großer Faktor könnte die veränderte Sonneneinstrahlung nach der Mittagspause gewesen sein. Die großen Neuschneemengen wurden schwerer und belasteten die tief gelegene Schwachschicht. Man sieht auch, dass der Abriss genau unter einer Geländekuppe am Übergang vom flachen in den steileren Teil erfolgt. Hier ist die Oberflächenspannung des Schnees am größten und die Schneedecke am labilsten. Ob jetzt aber ich, die Snowboarder weiter unten oder auch gar keiner von uns die Lawine ausgelöst haben, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich war es einfach eine wirklich unglückliche Kombination aus mehreren kleinen Teilen, die dann zum Abriss geführt haben.
Meine Lehren daraus:
– Gerade über Geländekuppen fahre ich seither sehr vorsichtig und versuche wenig Belastung auf den Schnee zu bringen
– Nur weil ein Hang schon mehrfach befahren worden ist, heißt es nicht, dass er sicher vor Lawinen ist. Manchmal braucht es nur einen kleinen Punkt, der die Lawine schlussendlich auslöst.
– Jeder in der Gruppe muss seine Lawinenausrüstung blind beherrschen und immer wieder damit üben. Vor allem das richtige und schnelle Umschalten des LVS, das Zusammenbauen der Sonden und der Schaufel (so einfach es klingt und am Parkplatz auch ist, so schwierig ist es in der Stresssituation und mit dicken Handschuhen an im Gelände) und das effiziente Graben.
– An einem etwas erhöhten Sammelplatz zu warten macht Sinn.
PS: Das Video teile ich gerne mit allen, die in den Bergen unterwegs sind und aus diesem Unglück etwas zum Ablauf einer Kameradenrettung lernen wollen. Im Video sieht man alles vom Abriss der Lawine über das Suchen und Graben. Man sieht Probleme und Fehler die in der Hektik der Situation auftreten und die jeder üben sollte. Alles mit persönlichen Kommentaren versehen. bei Interesse bitte einfach anfragen und ich schicke Euch den Link.
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